P2P-Wirtschaft - jenseits von Zwang und Konsum

Bei "Peer-to-Peer-Wirtschaft" handelt sich um eine Integration der Extreme zwischen Arbeit (Zwang) und Konsum (Kompensation für Gezwungene).

Am Beispiel von Ripple (s.a. früherer Artikel zu Ripple) und Bitcoin werden moderne Bewegungen wie Open-Source erkennbar als das Streben nach Glück jenseits von Konsum und Zwang, nämlich als Erfahrung von Sinn und sinnvollem Eingebundensein. Langsam kristallisiert sich hier ein Fundament für ein komplett neues gesellschaftliches Selbstverständnis heraus, für die Zeit nach dem noch bevorstehendem Crash des Scheingeldsystems.

Übersetzung

Max Keiser: Während überall auf der Welt das Fiat-Geld kollabiert und Peer-to-Peer-Dateiaustausch die Musikindustrie, die Softwareindustrie, die Filmindustrie stark verändert haben, kommen diese Kräfte nun zusammen, um jetzt Währungen zu transformieren.

Wir haben also: Fallende Währungen nach dem Scheingelddebakel von Bretton Woods trifft auf P2P. Um darüber zu reden, lassen Sie uns nach London gehen um mit David Hales zu sprechen. David ist ein Forschungsbeauftragter der Open University im UK. David ist interessiert an offenen, verteilten Systemen, bei denen die Auferlegung zentralisierter Machtausübung keine Option ist und man sich auch nicht auf die sog. "unsichtbaren Hände" von orthodox-ökonomischen oder spieltheoretischen Zusammenhängen stützen kann. David Hales, willkommen beim Keiser Report.

David Hales: Danke, Max, gut Dich zu sehen.

Max Keiser: Toll, David Hales, Peer-to-Peer-Währungen, P2P-Währungen wie Ripple, was ist das? Sind sie ähnlich zu Bitcoin? Wie funktionieren sie? Wie könnten sie das finanzielle Ökosystem um uns herum verändern?

David Hales: Ok - nun, viele kennen Bitcoin, Sie haben es in Ihrer Show bereits erwähnt. Bitcoin ist ein System, das eine Form von zentralisiertem Vertrauen aufrechterhält durch einen verteilten Algorithmus, um die Währungsmenge (in Bitcoins) zu begrenzen, die sich zu jeder Zeit in Umlauf befindet. Besonders und einzigartig an Bitcoin ist der verteilte Algorithmus, der äußerst schwierig zu hacken ist. Was bedeutet: Es ist sehr schwierig, Bitcoins zu fälschen. Tatsächlich müßten Sie die Mehrheit des Bitcoin-Netzwerks übernehmen, um das zu tun.

Trotzdem ist das [nur] eine bestimmte Funktion. Bitcoin ist nützlich für Zahlungen oder als Werttransferfunktion. Andere Systeme zielen hingegen auf andere Funktionen ab, die momentan z.B. durch Banken angeboten werden.

Ein Beispiel ist Ripple (ripple-project.org). Ripple ist eine interessante Variante von Peer-to-Peer-Währungen. Im Wesentlichen erlaubt es jedem einzelnem Teilnehmer [Peer], seinen eigenen Kredit bzw. Guthaben zu erzeugen und dieses anderen, vertrauten Teilnehmern anzubieten.

Der Schlüssel, um diese Systeme zu verstehen ist das Verständnis davon, wie sie Vertrauen zwischen Teilnehmern herstellen und aufrechterhalten. In einem vollständig verteilten System ist das Hauptproblem, das es zu lösen gilt: Wie kann man anderen Teilnehmern vertrauen, daß sie tun, was von ihnen erwartet wird, daß sie ihre Verbindlichkeiten begleichen oder daß sie dem Protokoll folgen, wie es [vom Projekt] spezifiziert wurde. Das ist ein Problem, das sich durch die kompletten Sozialwissenschaften zieht, und eine ziemlich großer Teil der Wirtschaftslehren basiert darauf. Z.B. beschäftigt sich viel Arbeit in der Spieltheorie damit, wie Vertrauen aufgebaut werden kann zwischen unabhängigen Einheiten ohne zentrale Aufsicht[...].

Ripple stützt sich, was ich ziemlich innovativ und interessant finde, auf ein soziales Netzwerk, auf ein bereits existierendes Netzwerk, welches jedes Individuum im Netzwerk bereitstellt.

Wenn Sie dem Ripple-Netzwerk beitreten, geben Sie an, welchen Teilnehmern Sie vertrauen, ziemlich ähnlich wie sie mit anderen "Freunde" werden auf Facebook. Sie können dann diesen vertrauenswürdigen Parteien Kreditrahmen einräumen [...] in jeder Währung, die Sie möchten. Das könnte sogar in Bitcoin sein.

Die Funktion dieses Systems ist, ein vollständig verteiltes Kreditsystem bereitzustellen, so daß keine Notwendigkeit mehr besteht, auf irgendein zentralisiertes Bankensystem ["banking authorities": Zentralbanken, Bankenaufsichten] zu vertrauen, um Kredit zu erschaffen oder Zinssätze festzulegen [...]

Ich glaube, wir werden in naher Zukunft beobachten, wie Leute zunehmend mit verschiedenen unabhängigen ["peer-based" im Original] Finanzfunktionen experimentieren werden. [...]

Es gibt auch noch andere Funktionen, die auf diese Weise [mittels Peer-to-Peer-Systemen] bereitgestellt werden könnten wie etwa "Wertaufbewahrung".

Max Keiser: Um das in einen Zusammenhang zu stellen: Was diese virtuellen Währungen oder P2P-Währungen oder die neue Welle von digitalen Währungen antreibt ist der Verfall des Vertrauens in das Bankensystem, ein Verfall des Vertrauens in das Zentralbankensystem:

Ron Paul kandidiert als Präsident in den USA im Mißtrauen gegenüber der "Federal Reserve" [US-Notenbankensystem]. Die Europäer vertrauen nicht der EZB [Europäische Zentralbank], der Troika, dem IWF, der Weltbank. All diese Institutionen fallen, die Leute vertrauen ihnen einfach nicht mehr. Sie wurden enttarnt als ausstaffierte Fassaden eines Oligopols [ein paar wenige Anbieter teilen sich einen Markt auf und beherrschen ihn dann vollständig, Anm. d. Autors], eines zentralisierten Bankensystems, das lediglich profitorientiert ist, aber kein Interesse daran hat, einen echten Markt herzustellen, kein Interesse an einer verteilten Wirtschaft hat, in der sich Risiken und Belohnen ungefähr ausgleichen. In dieser Leere beobachten wir also das Entstehen dieser virtuellen Währungen.

Auf die gleiche Weise wie wir im Software-Markt die Entstehung von "Open Source" sahen, das Gleiche im Musikmarkt mit Napster, [...] welches die Musikindustrie komplett und grundlegend verändert hat - zum Besseren. Momentan haben wir im Videomarkt das Entstehen von P2P-Dateiaustausch für Filme und Videos [...], welches diese Industrie wandelt. Und jetzt beobachten wir das bei Währungen. Währungen werden selbst digitaler P2P-Datenaustausch, angetrieben durch soziale Netzwerke. Habe ich recht damit, wenn ich sage, daß Peer-to-Peer-Netzwerke im Währungsmarkt die Notwendigkeit eines Zentralbankensystems eliminieren könnten?

David Hales: Möglicherweise ja. Ich denke Sie haben vollkomen recht mit ihrer Analyse, Max. Möglicherweise ja, aber wir sind noch am Anfang. Ich meine, um in diesen Bereich zu gelangen, wo wir realistische Alternativen haben, die keine zentralisierten Regierungs- und Bankenfunktionen erfordern, ist eine Vorbedingung, ein Ökosystem zu erschaffen. Auf die gleiche Weise wie BitTorrent durch eine Ökosystem von verschiedenen Zugangsprogrammen florierte, oder auch durch privat betriebene Unternetze, welche manchmal auch "BitTorrent Darknets" genannt werden. Diese konkurrieren um Mitgliedschaften, und durch diese Konkurrenz entsteht ein Auswahlprozeß. Das erzeugt einen Wettbewerb, der ein wenig anders ist als ein traditioneller Markt. Es ist ein Ökosystem konkurrierender "Allgemeingüter", wenn Sie so wollen.
[...]

Viele Menschen verlieren Vertrauen in zentralisierte Instanzen aus unterschiedlichsten Gründen. Aber um die Dienste bereitzustellen, die momentan noch durch zentralisierte Instanzen geleistet werden, wenn auch vielleicht in einem beschränkten Maß, müssen Alternativen geschaffen werden. Aber es wird keinesfalls [nur] eine einzige Alternative geben, wie z.B. ein Bitcoin oder ein Ripple. Stattdessen wird es ein Ökosystem von sich verändernden, sich kontinuierlich entwickelnden Systemen geben. Einzelne Personen können sich frei zwischen den Systemen bewegen und sind darüber hinaus auch frei, gemäß dem Geist von Open Source, sich dort einzubringen. Der Quellcode wird offen sein, so daß jeder die Regeln verstehen kann, mittels welchen diese Gemeinschaften verwaltet werden, und das ist etwas, das Vertrauen herstellt.

Max Keiser: Lassen Sie mich ein paar Kommentare dazu machen, um das in einen Zusammenhang zu bringen für Leute, die hier gerade erst einsteigen. Was Sie beschreiben bzgl. unterschiedlicher Versionen dieser Open-Source-Währungen ist Wettbewerb. Und Wettbewerb, freier Wettbewerb, Marktwettbewerb ist gut, ökologisch ausgedrückt. Das ist das gleiche wie in der Ökologie, wo Diversität gewünscht ist. Wenn Sie eine Monokultur haben, in der Landwirtschaft z.B., was etwa ein Monopolist wie Monsanto bevorzugen würde, ergeben sich Marktversagen, in diesem Fall Ernteausfälle und schreckliche Konsequenzen. Aber das hier ist Wettbewerb, freier Wettbewerb.

Sie erwähnten Open Source [...], wo Menschen freiwillig Code erstellen, um ein Software-Ökosystem zu erschaffen, das mittlerweile das de-facto-Rückgrat des gesamten Internets ist. Und die Motivation der Teilnehmer war nicht Profit, sondern Sinn ["purpose"].
Etwas was wir entdecken: Wenn Menschen die Wahl haben, bevorzugen die meisten ein Leben mit Sinn anstelle von reinem Profit. Und im Internet, in dieser relativ reibungsarmen Umgebung des Internets, kann ein Leben mit Sinn oder ein Leben des Gebens ["altruism"] florieren, weil die Kosten dafür so gering sind. Wenn das Nebenprodukt dieser kollektiven altruistischen Unternehmung gegenüber demjenigen überlegen ist, welches durch das rein profitorientierte Denken hervorgebracht wird, dann hat es eine Chance dieses Reine-Profit-Denken zu usupieren.

Lassen Sie mich das weiterverfolgen und fragen: Werden die aktuellen Zahlstellen-Betreiber der Zentralbanken nicht Gewaltandrohung nutzen, um diese Art der Konkurrenz aufzuhalten?
Wir sehen, daß das in anderen Wirtschaftssektoren passiert, besonders im Unterhaltungssektor. Wenn dort eine Konkurrenz auftaucht läuft Hollywood heulend zum Kongress und sie beginnen Leute einzusperren wie etwa Kim Dotcom in Neuseeland oder sie erfinden [Wortspiel: erkranken an] solche Dingen wie "Anti-Terror-Gesetze". Wie wird das also sein, der Kampf gegen die tief verwurzelten Oligopolisten, wie kommen wir darum herum, David Hales?

David Hales: Ich denke Sie haben da einen interessanten Punkt. Wie gesagt stehen wir erst am Anfang. Aber sicher ist, was wir jetzt beobachten bei Dateiaustausch: Versuche mit ACTA und PIPA und andere Versuche, zentral verteilte Systeme abzuschalten und einzuschränken. Meine Antwort darauf ist: Technologisch ist es sehr schwierig, so ein Programm einzuführen, außer das Internet würde sich darüber freuen. Ich habe immer noch Hoffnungen, daß die Menschen es im Allgemeinen inakzeptabel finden. Außer es gäbe eine drakonische, zentralisierte Antwort darauf jenseits von allem, das wir heute aus modernen, westlichen Gesellschaften gewohnt sind, ansonsten kann ich technisch nicht erkennen, wie diese Systeme aufgehalten werden könnten. Letzendlich ist alles, was zum Betrieb dieser Art von Systemen nötig ist, Informationsaustausch.

Schlußendlich wird das Internet wahrgenommen als - und ist und war [immer schon] ein Peer-to-Peer-Ansatz. Deshalb: Diese Systeme sind unaufhaltbar, außer man würde die Architektur des Internets radikal ändern.

Max Keiser: (dankt für das Interview)

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